Seeadler haben Kormorane zum Fressen gern
Der Seeadlerbestand in Schleswig-Holstein hat in den letzten Jahren stetig zugenommen, so dass aktuell fast alle Kormorankolonien und Schlafplätze – mit Ausnahme der Vorkommen im Wattenmeer – im Einzugsbereich von Seeadlerbrutpaaren oder in Nahrungsrevieren von Jungadlern liegen. Ein Faktor, der den Bruterfolg, die Brutverbreitung und den Brutbestand des Kormorans in Schleswig-Holstein zunehmend beeinflusst, ist die Prädation von Seeadlern in den Kormorankolonien.
Junger Seeadler schlägt jungen Kormoran in der Brutkolonie
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Bereits seit vielen Jahren wird beobachtet, dass sich Seeadler oft in der unmittelbaren Nähe von Kormoranbrutkolonien aufhalten. Die Kormorane reagieren auf sitzende Adler kaum. Sobald die Adler jedoch fliegen, stoßen die brütenden und hudernden Kormorane Warnlaute aus, die wie ein lang gezogenes „ooooch, oooch“ klingen. Viele Kormorane verlassen panisch die Brutbäume und sammeln sich auf dem Wasser.
Rasch kam die Vermutung auf, dass die Seeadler den Kormoranen nicht nur Beute abjagen oder verlorene Fische aufsammeln, sondern dass die Adler auch junge Kormorane in den Nestern schlagen. Ein erster deutlicher Hinweis war, dass an regelmäßig von Seeadlern aufgesuchten Kormoranbrutplätzen zahlreiche Rupfungen zu finden waren. So wurden zum Beispiel in der mittlerweile aufgegebenen Kolonie am Culpiner See/RZ an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern Ende Juli 2001 ohne gezielte Nachsuche 28 Rupfungen junger, überwiegend nicht flügger Kormorane gefunden und auch am Heidensee/PLÖ lagen Ende Juli 2001 am Boden unter den Nestern 16 Rupfungen. In den folgenden Jahren gelangen direkte Beobachtungen, dass Seeadler Kormorane in den Kolonien attackieren und in diesem Jahr folgte die Fotodokumentation durch Tim Peukert in der Kolonie am Güsdorfer Teich bei Wittmoldt im Kreis Plön.
Als eine Folge der Adlerattacken nimmt der Bruterfolg der Kormorane in den Kolonien ab. Neben den direkten Verlusten dürften auch zahlreiche Eier und Junge aus den Nestern abstürzen, wenn die Altvögel bei Adlerattacken panisch von den Horsten fliehen. Am Stoffsee bei Bredenbek/RD wurde 2008 beobachtet, dass in einem gesamten Kolonieteil kein einziger Jungvogel großgezogen wurde – dafür saß bei der Bruterfolgskontrolle ein Seeadler zwischen den leeren Kormorannestern.
Die Kormorane reagieren auf die regelmäßige Anwesenheit der Adler, indem sie den Koloniestandort verlagern. Besonders augenfällig war dies am Pugumer See an der Flensburger Förde. 1992 gegründet, nahm der Kormoranbrutbestand zunächst innerhalb von drei Jahren auf 1.090 Paare zu. Ab 1994 erschienen dann regelmäßig Seeadler. Die Folge war, dass die Kormorane den Pugumer See alljährlich bereits im August räumten und ihren Schlafplatz an den Westerwerker See verlegten. In den Folgejahren nahm der Kormoranbrutbestand im Bereich der Flensburger Förde kontinuierlich ab. Die Brutansiedlung von zwei Altadlern am Pugumer See im Jahr 2003 führte dazu, dass nur noch wenige Kormorane am See brüteten, und im Folgejahr war der Koloniestandort verwaist. Alle Kormorane waren zum Westerwerker See umgesiedelt, wo 1999 ein neuer Brutplatz entstand, der nicht ganz so dicht am Adlerhorst liegt. In den letzten Jahren sind insgesamt vier Kormorankolonien aufgegeben worden, die zum Teil gleich von mehreren Seeadlern aufgesucht worden waren: Culpiner See, Selenter See, Pugumer See und Geltinger Birk.
Die Entwicklung des Kormoranbrutbestandes in Schleswig-Holstein stagniert seit Mitte der 1990er Jahre und war 2008 deutlich rückläufig. Bestandszuwächse oder zumindest gleich bleibende Bestände sind nur in den Kormorankolonien an der Westküste von Schleswig-Holstein zu beobachten (NSG Trischen, Föhr, Buttersand bei Sylt). Als ein Standortvorteil dieser Brutplätze ist in Anbetracht der Beobachtungen in den Kolonien im Binnenland und an der Ostseeküste sicherlich zu sehen, dass hier die Seeadler (noch) nicht zu den regelmäßigen Prädatoren gehören.
Insgesamt zeigen die Beobachtungen der letzten Jahre, dass mit der steigenden Anzahl von Seeadlern die Brut- und Rastbedingungen für die Kormorane in Schleswig-Holstein ungünstiger geworden sind und der Lebensraum für Kormorane an den Küsten- und Binnengewässern eingeengt wird. Diese Entwicklung ist bei vielen Koloniebrütern typisch und zwingt auch beispielsweise Möwen und Seeschwalben regelmäßig zur Umsiedlung.