Der Schwarzstorch in Niedersachsen – der Rückgang des schillernden Waldbewohners

„Erfreuliche Nachrichten vom Schwarzstorch aus Niedersachsen, die Anzahl der Brutpaare nimmt weiter zu, die Art breitet sich weiter aus und die Art wurde im Bestand möglicherweise unterschätzt…“ (Quellen: diverse DPA- und Presse-Meldungen im Juni 2015).
Diese Aussagen hätte man vor einigen Jahren für Niedersachsen möglicherweise noch gutgläubig, euphorisch und bedenkenlos unterschrieben, aber inzwischen muss man sie deutlich relativieren: der Schwarzstorch ist wieder eine auffallend seltene Brutvogelart in Niedersachsen geworden, deren Erhaltungszustand deutlich innerhalb der nördlichen und südlichen Landesteile schwankt. Daher verdient jedes aktuelle niedersächsische Brutrevier in gleichen Maßen intensive Beachtung, Betreuung und Schutz.
Wann und warum kam es zu dem „Rückgang des schillernden Waldbewohners“? Die Antwort liefert zunächst die Datenlage der vergangenen 20 Jahre in Niedersachsen. Während der Schwarzstorch erst seit Mitte der 80er Jahre wieder den südlichen Teil Niedersachsens, die Mittelgebirge und das Weser-Leinebergland, langsam besiedelt hat, gab es etwa 30 Jahre zuvor nur ein kleines isoliertes Brutareal im nördlichen Teil Niedersachsens, in der Lüneburger Heide. In den 1950er und 1960er Jahren war der Bestand auf wenige Brutpaare in der Südheide und vereinzelte Bruten im Landkreis Rotenburg/Wümme isoliert. Seit den 1990er Jahren nahm die Art stetig zu und um die Jahrtausendwende gab es einen Brutbestand von knapp 45 Paaren im Bereich nördlich des Mittellandkanals. Anschließend machte sich in den letzten Jahren wieder ein deutlich spürbarer Bestandsrückgang in Niedersachsen bemerkbar und ein deutliches Süd-Nord-Gefälle wurde bis zum Jahr 2018 auffällig. Von dieser Negativentwicklung ist vor allem der einstige Verbreitungsschwerpunkt in den nördlichen Bereichen des Bundeslandes betroffen, während die Bestandszahlen im Harz und im Weser-Leinebergland kontinuierlich leicht anstiegen und erst in den letzten Jahren stagnierten. Von 61 Brutpaaren im Jahr 2000 stieg der Bestand zunächst bis auf maximal 80 besetzte Nester im Jahr 2009 an. Danach stagnierte der Brutbestand bei etwa 70 Brutpaaren bis 2014 und nimmt seitdem schleichend aber deutlich ab und 2018 wurden nur noch 44 Brutpaare in Niedersachsen gezählt. Die aktuell bekannten Brutreviere verteilen sich auf die Lüneburger Heide und die Stader Geest (10 BP), das Elbe-Einzugsgebiet (6 BP), das Weser-Aller-Flachland (5 BP), die Börden und das Harzvorland (5 BP), das Weser-Leinbergland (11 BP) und den Harz (7 BP). Hinzu kommen einige sichere Revierpaare, von denen die aktuellen Nester derzeit nicht bekannt sind, vor allem im Harz und im Weser-Leinebergland. Hierbei gibt es nur ein Nest, im Landkreis Göttingen, welches in den vergangenen 20 Jahren ununterbrochen erfolgreich besetzt war. Die meisten traditionellen, zuvor Jahrzehnte besetzten Brutplätze in der Lüneburger Heide (ein Brutplatz im Landkreis Celle war bis 2014 über 30 Jahre besetzt) sind inzwischen leider verwaist. Weitere langjährig genutzte Brutplätze existieren zudem in den relativ ruhigen Hangwäldern des Harzes und Sollings.

Bestandsentwicklung NDS
Brutbestandsentwicklung des
Schwarzstorches in Niedersachsen 2000–2018

Die Arbeitsgruppe Schwarzstorchschutz Niedersachsen arbeitet ehrenamtlich im Auftrag der Staatlichen Vogelschutzwarte im NLWKN. Derzeit sind neun BetreuerInnen im Einsatz.

Die Gründe für die langfristigen Brutplatz- und Revieraufgaben bzw. großräumigen Umsiedlungen, die vor allem die Lüneburger Heide und das nördliche Niedersachsen betreffen, wo zwischen 2009 und 2018 etwa 25 Reviere aufgegeben wurden, sind vielfältig. Fünfmal spielten Ansiedlungen des Seeadlers im Umkreis von 500 - 3.000 m wohl eine entscheidende Rolle und auch ein direkter Eingriff von Seeadlern an Schwarzstorchnestern wurde dokumentiert. Der Waschbär war mindestens neunmal als Prädator von Jungstörchen nachweisbar, ebenso viermal der Uhu. Zudem kommen seltener Forstarbeiten bzw. andere menschliche Störungen als Gründe für Revieraufgaben dazu, oftmals in Verbindung mit vorangegangenen Stürmen und daraus resultierenden Nestabstürzen.

Um dem Schwarzstorch sichere Brutstandorte zu bieten und z. B. Horstabstürzen vorzubeugen, gibt es in Niedersachsen seit Anfang der 1960er Jahre das bis heute laufende „Kunsthorstprogramm“ für den Schwarzstorch, welches von Alfred Nottorf initiiert wurde. Zwischen den Jahren 2000 und 2018 fanden in Niedersachsen fast 500 Bruten auf solchen Nistplattformen statt. 2018 fanden 45 % aller Bruten in Niedersachsen auf Kunsthorsten statt, welche nach wie vor zum Ziel haben, Schwarzstörche in ruhigen Waldbereichen anzusiedeln, abgestürzte Nester neu zu errichten bzw. absturzsicherer Brutplätze abzusichern oder Ausweichnester im Fall wiederholter Störungen anzubieten. Kunsthorste sollten dennoch auf lange Sicht keinen dauerhaften Ersatz für fehlende geeignete Bäume und Lebensraumbedingungen in den Wäldern darstellen. Während die Kiefer noch bis Ende der 1990er Jahre als Nestbaum dominierte, ist inzwischen die Buche - als Charakterbaum in den unteren Hanglagen der Mittelgebirge und des Weser-Leine-Berglandes - der am häufigsten genutzte Brutbaum des Schwarzstorches in Niedersachsen. 2018 befanden sich 20 Brutplätze auf Buchen, 18 auf Eichen, weitere fünf Nester wurden auf Kiefern errichtet und eines auf einer Fichte.

Schwarzstorch NI Nest
Langjährig genutztes Schwarzstorchnest im Solling, Weser-Leinebergland, Landkreis Northeim. Dieses Nest wurde inzwischen abgestützt, um es vor einem Absturz zu bewahren und 2018 flogen vier Jungvögel aus (Foto: Arne Torkler)

In den Jahren 2013 und 2014 wurden von Carsten Rohde im Rahmen des Beringungsprojektes in Deutschland insgesamt 32 Jungstörche in 13 Nestern in Niedersachsen beringt. Dabei ergaben sich, abgesehen von diversen Ringablesungen zu den Zugzeiten und in den Überwinterungsgebieten, auch zwei Wiederfunde in niedersächsischen Brutgebieten. 2017 war ein Schwarzstorch aus dem Weser-Aller-Flachland Brutvogel im Solling, Landkreis Northeim (beringt 2013 bei Wolfsburg, Distanz ca. 135 km) und 2018 wurde ein zuvor in Niedersachsen beringter Schwarzstorch als Brutvogel bei Hildesheim (beringt im Harz bei Osterode 2014, Distanz ca. 45 km) abgelesen. Diese Ergebnisse untermauern, dass zumindest ein Teil der Jungstörche nach einigen Jahren in die Umgebung der Brutplätze zurückkehrt und hier neue Brutplätze findet. Umso wichtiger ist es, den Bestand und die Brutplätze weiter erfolgreich zu erhalten und so den Weg für erfolgreiche Bruten zu ebnen, damit es auch noch in vielen Jahren heißt: „der Schwarzstorch ist und bleibt ein schillernder, heimlicher Waldbewohner und ein Charaktervogel in naturnahen, störungsarmen und größtenteils unbeeinflussten Wäldern in Niedersachsen“.

Arne Torkler
AG Schwarzstorchschutz Niedersachsen
Dahlgrund 16c
29223 Celle
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